Kurze
Geschichte der Clemenskirche
In
den Jahren um 1200 bis 1220 wurde die erste und für Jahrhunderte
einzige Mülheimer Kirche als Annex-kirche der Buchheimer
St. Mauritius-Pfarrkirche erbaut. Die Bürger von Mülheim,
das zum Herzogtum Berg gehörte, erwarben ihren Lebensunterhalt
neben der Landwirtschaft vorzugsweise als Schiffbauer und Fähr-leute;
sie waren zu einigem Wohlstand gelangt, und so war wohl der
Wunsch nach einer eigenen Kirche ent-standen, die dem Patron
der Fischer und Schiffer, dem hl. Clemens geweiht wurde. Viele
Kirchen an Fluss-ufern sind nach ihm benannt; auch die linksrheinische
Kölner Kunibertskirche trug bis ins 13. Jahrhundert seinen
Namen.
Der Ursprungsbau war eine einschiffige Saalkirche mit zwei Jochen,
steilem Satteldach, (späterem) spitzen Dachreiter und halbrunder
Apsis mit fünf kleinen Nischen, ähnlich dem Chor von
St. Kunibert. Die nördliche Außenwand war durch Lisenen
und Rundbogenfriese gegliedert (im Obergaden der Mittelschiffarkaden
heute wieder sichtbar), die südliche durch Lisenen und
rechteckige Blenden.
Die
achthundertjährige Historie der Clemenskirche ist eine
stete Abfolge von Bau und Zerstörung, Naturka-tastrophen,
Kriegsschäden, Wiederaufbau und Renovierungen, die bis
heute noch nicht abgeschlossen sind. Nur die wichtigsten Stationen
ihrer Geschichte seien hier aufgeführt: 1269 wurde der
erste Erweiterungsbau notwendig, da die Kirche inzwischen zu
klein geworden war; wahrscheinlich wurde sie um ein Joch verlän-gert.
Als St. Clemens nach dem dreißigjährigen Krieg einzustürzen
drohte, ließ Joh. Jakob Lohe aus Mül-heim, Abt von
Altenberg, 1692 einen Neubau unter Verwendung noch brauchbarer
älterer Bauteile errichten. Wohl damals sind die letzten
romanischen Reste unter Putz und Gewölben verschwunden.
1720 war die Kir-che bereits wieder zu klein. Zwei Seitenschiffe
wurden angebaut, zunächst das nördliche, wenig später
das südliche. Sie wurden gedeckt durch je drei quergestellte
Satteldächer, die mit geschweiften Giebeln ab-schlossen.
Für den Anbau der Seitenschiffe wurden die romanischen
Mittelschiffwände mit großen Rundbo-genarkaden durchbrochen,
die auf längsrechteckigen Pfeilern aufliegen. Diese trugen
auch das eingezogene Kreuzrippengewölbe. Vermutlich wurde
zu dieser Zeit auch der Turm im Osten errichtet, eines der selteneren
Beispiele eines Chorturms im Rheinland. (Auf der Westseite stieß
man bei Grabungen nach dem zweiten Weltkrieg auf ein sehr starkes
Fundament mit bis zu zwei Meter dicken Mauern. Ob St. Clemens
außer dem Chorturm auch einen Turm im Westen hatte, konnte
damals aus Geldmangel nicht weiter untersucht werden.)
Bald war die Kirche wieder zu klein geworden für die rasch
wachsende Bevölkerung Mülheims. Daher wurde 1754 im
Westen eine kleine zweigeschossige Vorhalle angebaut, die nach
den Kriegszerstörungen 1944 nicht wieder errichtet wurde.
Bereits 1755, nach einem schweren Sturm, wurden weitere Reparaturen
notwendig. Der Turm erhielt im we-sentlichen seine heutige Form
mit achtseitigem Aufbau, Kuppeldach und Laterne, ähnlich
dem Turm der Köl-ner Jesuitenkirche. Auch eine Uhr wurde
eingebaut, die erste öffentliche Uhr im Mülheim.
Mitte des 18. Jahrhunderts präsentierte sich die Clemenskirche
fast so wie heute: eine dreischiffige Hallenkir-che mit vier
Jochen, gerader Apsis, die sich kaum vom Langhaus absetzte,
und Ostturm, rund 19 m lang und 13 m breit. Von außen
bot sie ein relativ einheitliches barockes Bild. Im Inneren
herrschte eine Stilmischung aus Romanik (Rundbogenarkaden),
posthumer Gotik (Kreuzrippengewölbe, Spitzbogenfenster)
und Barock (Altäre, Kanzel und Orgel).
Am 18.10.1944 legte der große Bombenangriff auf Mülheim
die Clemenskirche bis auf einen Turmstumpf und die Außenmauern
in Schutt und Asche. Der Wiederaufbau (1952-1960), im wesentlichen
von Joachim Schürmann verantwortet, hinterlässt einen
zwiespältigen Eindruck. Einiges wurde originalgetreu wiederher-gestellt,
anderes ohne Not verändert oder weggelassen. So verzichtete
der Architekt auf die Wiederherstel-lung der Gewölbe und
zog im Sinne einer kompromisslosen Neo-Romanik eine flache Holzdecke
ein. Die erhaltenen vorkragenden Kämpferplatten an Pfeilern
und Diensten waren damit funktionslos geworden und sind nur
noch sinnlose Relikte. Die barocken Schweifgiebel wurden nur
an der Südseite erneuert; die Nord-seite, an der auch die
Strebepfeiler wegfielen, erhielt einfache Dreiecksgiebel. Auch
die Fenster, zumindest im Norden, dürften nicht originalgetreu
sein. Es sind jetzt kleine romanische Rundbogenfenster, die
nicht axial zu den Arkaden liegen. Die Südseite erhielt
flache Spitzbogenfenster, deren gotisches Gabelmaßwerk
durch ein Betonraster mit Glasbausteinen ersetzt wurde. Die
westliche Vorhalle wurde nicht mehr aufgebaut, und auf die frühere
Ornamentik des Westgiebels wurde verzichtet. Auch der Turm wurde
nicht unwesentlich ge-ändert mit steilerem Kuppeldach und
vom Original abweichender Laterne.
Von der ehemals reichen Ausstattung der Kirche – Hauptalter
und zwei barocke Nebenaltäre sowie eine klei-ne Barockorgel
– hat sich nichts erhalten. Der Bildhauer Heinz Gernot
schuf den frei im Raum stehenden Altar aus römischem Travertin
nach einem Entwurf von Werner Schürmann aus Dublin. Von
diesem Künstler stammen auch das Altarkreuz, die Bronzeleuchter
und das Bronzeportal im Westen. Außen zeigen die beiden
Flügel den hl. Clemens im Bischofsornat, innen Szenen aus
dem Leben des Kirchenpatrons. In die Bronze-flächen sind
farbige Glassteine eingesetzt, die in der Abendsonne bunt aufleuchten.
Das einzige Farbfenster auf der Südseite des letzten westlichen
Langhausjochs, geschaffen von der Künstle-rin Gerda Frömel
aus Dublin, stellt die Marienerscheinung von Lourdes dar. Im
südlichen Seitenschiff steht in einer Nische eine Barockfigur
des hl. Sebastian. In den Löchern der Skulptur steckten
früher die Pfeile, mit denen der Heilige getötet wurde.
Die beiden kupfernen Wasserspeier auf der Südseite, zwischen
den Schweifgiebeln, die vor der Zerstörung nicht vorhanden
waren, stammen ebenfalls von Werner Schürmann.
Wie zu Anfang erwähnt, war die Clemenskirche nur eine Filialkirche
von St. Mauritius in Buchheim. Obwohl Mülheim im Laufe
der Zeit Buchheim an Bedeutung und Einwohnerzahl weit überflügelte
– 1322 bereits er-hielt es Stadtrecht – änderte
sich dieser Zustand nicht. Auch als 1414 der Buchheimer Pfarrer
seinen Amts-sitz nach Mülheim verlegte, weil das kirchliche
Leben sich mehr und mehr in St. Clemens abspielte, behielt die
Clemenskirche rechtlich nur den Rang einer benedizierten Kapelle.
Taufen und Bestattungen waren nach wie vor St. Mauritius als
Pfarrkirche vorbehalten. Deshalb hat die Clemenskirche auch
keinen Friedhof. Im dreißigjährigen Krieg war St.
Clemens je nach Konfession der Besatzungstruppen wechselnd katholische,
evangelische oder reformierte Kirche. 1795 verwüsteten
napoleonische Truppen die Buchheimer Kirche so schwer, dass
alle Gottesdienste nach St. Clemens verlegt werden mussten.
1830 wurde das verfallene Ge-bäude dann bis auf die Apsis
und das erste Joch abgerissen. Heute dienen diese Reste als
Friedhofskapelle des katholischen Kirchhofs in der Sonderburger
Straße.
Nach der Zerstörung von St. Mauritius wurde die Clemenskirche
1803, fast 600 Jahre nach ihrer Entstehung, alleinige Pfarrkirche
von Mülheim und Buchheim. Das blieb sie bis zur Einweihung
der neugotischen Pfarrkir-che Maria Himmelfahrt (heute Liebfrauen)
am 15.8.1865, dann sank sie wieder für 140 Jahre auf den
Status einer Filialkirche zurück.
Die Neuordnung der Seelsorgebereiche, die zu Ende des 20. Jahrhunderts
aus verschiedenen Gründen zwingend wurde, hob die Clemenskirche
wieder auf ihren alten Rang: Seit dem 1.1.2005 ist sie Pfarrkiche
der Gemeinden Liebfrauen, Herz Jesu und St. Elisabeth.
Die Clemenskirche stand ehemals auf einem steil gemauerten Sockel
direkt am Flussufer. Ende 1953 wurde die heutige Rheinpromenade
angelegt. Auf der Begrenzungsmauer vor der Westfassade von St.
Clemens wurde 1935 eine Nepomukskulptur (Patron der Schiffer
und Brücken) des Bildhauers Eduard Schmitz jun. aufgestellt.
1992 musste sie, da sie durch Umwelteinflüsse stark gelitten
hatte, durch eine von Michael Pohlmann gefertigte Neufassung
aus Granit ersetzt werden.
©
Lisa Weyand